Der Empfang in der Tagesklinik ist herzlich.
Der Rundgang mit der freundlichen Dame von der Anmeldung
endet in der Cafeteria, in der jede Gruppe einen eigenen Tisch hat.
Die Zwangsgruppe sitzt zwischen Depressionen 1 und Depressionen 2.
Gegenüber sind die jungen Erwachsenen (also die 18-25-Jährigen).
Ganz hinten – gegenüber vom Kaffeeautomaten – sitzt die Angstgruppe.
Bis 9 Uhr gibt es Kaffee und Butterbrezen gratis.
An unserem Tisch sitzt bisher nur ein Patient und liest Zeitung.
Wir stellen uns vor. Er heißt Markus (Name geändert). Wie mein Chef.
Das fängt ja schon gut an … (Zwang lass nach !!!)
Natürlich frage ich ihn sofort, weshalb er hier ist. Mein Mitpatient leidet an einem Waschzwang und an einer Schmutzphobie – beides sehr verbreitet. Damit hatte ich gerechnet.
Markus hat auch Probleme, den Tischabfallbehälter anzufassen – wegen seiner Schmutzphobie.
Und er kann es kaum glauben, dass ich überhaupt keinen Waschzwang habe und mich auch
alles anfassen traue. Von einem „Dokumentationszwang“ hat er noch nie etwas gehört.
Der ist auch ziemlich selten. (Ich brauche halt immer was Besonderes…)
Und schon kommt wieder die Befürchtung hoch, dass ich hier nicht richtig rein passen könnte.
Es folgen weitere Patienten mit Wasch- und Kontrollzwängen. Scheinbar alles „Standard-Fälle“…
Aber alle sind total nett und scheinbar auch sehr vertraut miteinander. Kein Wunder –
einige sind schon seit 6-8 Wochen da. Der letzte Patient, der ankommt, wird schon
in ein paar Tagen entlassen. Er hat so viele Zwänge, dass die Zeit nicht mehr reicht
bis zum Beginn der ersten Therapiestunde um 9 Uhr.
Da stellen sich sowieso alle ganz offiziell vor – mit Namen, Alter und den Zwängen,
wegen denen sie hier sind. Viele leiden u. a. an „Grübel-Zwängen“. Ich wusste gar nicht,
dass Grübeln eine Zwangsstörung ist… (Im Laufe der Therapie stellt sich allerdings heraus,
dass meine Grübeleien eher depressiv als zwanghaft sind).
Von einem „Dokumentierzwang“ oder „Schreibzwang“ hat tatsächlich noch niemand gehört.
Allerdings habe ich auch nichts von vielen Problemen gehört, unter denen meine Mitpatientinnen und Mitpatienten leiden.
Zwang ist sehr vielseitig. Und ein Zwang kommt selten allein. Alle im Raum leiden unter
mehreren Zwangsstörungen – genau wie ich.
Ich bin nicht mehr allein. Endlich kann ich offen über alles reden – in einem geschützten Umfeld, in dem nichts gegen mich verwendet werden kann.
Reden ist besser als Schreiben – vor allem, wenn man unter einem „Dokumentierzwang“ leidet.